Der unerwartete Gast

 

Der unerwartete Gast

 
Johanna schaute noch einmal auf den Briefumschlag. Keine Briefmarke, kein Poststempel, nur ihr Name und ihre Adresse. Sie las den Brief noch einmal….“Liebe Johanna, am Samstagnachmittag bin ich in deiner Nähe und würde gerne auf einen Besuch vorbeikommen. In ewiger Liebe, Jesus.”
 
Ihre Hände zitterten als sie den Brief auf den Tisch legte. “Warum sollte der Herr mich besuchen wollen? Ich bin keine besondere Person. Ich habe nichts zu bieten.”
 
Mit diesem Gedanken erinnerte sich Johanna an ihre leere Vorratskammer. “Ach du meine Güte, ich habe wirklich gar nichts anzubieten. Ich muss zum Supermarkt gehen und etwas fürs Abendessen holen.”
 
Sie griff nach ihrer Geldbörse und zählte den Inhalt. Zwölf Euro und vierzig Cent. „Nun, dafür kann ich wenigstens etwas Brot und kalten Braten kaufen.” Sie warf ihren Mantel über und eilte zur Tür hinaus.
 
Sie kaufte einen großen Laib Brot, Butter, ein Pfund Putenbrustaufschnitt und eine Flasche Milch. Danach hatte sie noch 3 Euro und elf Cent übrig, mit denen sie bis Montag würde auskommen müssen. Dennoch war sie zufrieden als sie nach Hause eilte, ihre mageren Einkäufe unter den Arm geklemmt.
 
"Hallo, gnädige Frau, können Sie uns helfen?" Johanna war so in ihre Pläne fürs Abendessen versunken gewesen, dass sie die beiden Gestalten gar nicht bemerkt hatte, die in der Gasse zusammengekauert saßen. Es waren ein Mann und eine Frau, beide in Lumpen gekleidet. „Wissen Sie, gnädige Frau, ich kann keinen Job finden, ich und meine Frau leben hier auf der Straße und jetzt wird es richtig kalt und wir haben Hunger. Wenn Sie uns helfen könnten, wären wir Ihnen wirklich dankbar."
 
Johanna schaute sie beide an. Sie waren schmutzig, rochen schlecht und ehrlich gesagt war sie sicher, dass sie hätten Arbeit finden können, wenn sie es wirklich gewollt hätten. „Mein Herr, ich würde Ihnen ja gerne helfen, aber ich bin selbst eine arme Frau. Ich habe nichts weiter als ein bisschen kalten Aufschnitt und etwas Brot und heute habe ich zum Abendessen einen wichtigen Gast und das wollte ich ihm anbieten.“ – „Das ist natürlich okay, gnädige Frau, ich verstehe. Trotzdem vielen Dank.“  
 
Der Mann legte seinen Arm um die Schultern seiner Frau, wandte sich um und schlurfte zurück in Richtung Gasse. Als sie ihnen hinterher sah, fühlte Johanna einen vertrauten Stich in ihrem Herzen. „Moment, warten Sie!“ Das Paar hielt inne und wandte sich um als sie ihnen durch die Gasse nachlief. „Schauen Sie, warum nehmen Sie nicht einfach dieses Essen. Ich werde schon etwas anderes finden, was ich meinem Gast vorsetzen kann."
 
Sie gab dem Mann die Einkaufstasche. „Danke, gnädige Frau. Vielen, vielen Dank!“ – “Ja, danke sehr!” Diesmal sprach die Frau des Mannes und Johanna konnte nun sehen, dass sie entsetzlich fror und zitterte. „Wissen Sie, ich habe noch einen anderen Mantel zu Hause. Hier, nehmen Sie diesen!“ Johanna knöpfte ihren Mantel auf und hängte ihn der Frau über die Schultern. Lächelnd wandte sie sich dann zurück zur Straße...ohne ihren Mantel und ohne etwas, was sie ihrem Gast würde anbieten können.
 
Als sie ihre Haustür erreicht hatte war Johanna ganz kalt und sie war auch besorgt. Der Herr kam zu Besuch und sie hatte nichts, was sie ihm anbieten konnte. Sie fingerte in ihrer Geldbörse nach ihrem Hausschlüssel. Dabei entdeckte sie einen weiteren Briefumschlag in ihrem Briefkasten. „Das ist aber seltsam! Der Postbote kommt doch gewöhnlich nicht zweimal am Tag.“ Sie nahm den Umschlag aus dem Briefkasten und öffnete ihn.
 
„Liebe Johanna, es war so schön, dich wieder zu sehen. Danke für das köstliche Essen. Und danke auch für den wunderbaren Mantel. In ewiger Liebe, Jesus.“
 
Es war noch immer kalt, doch selbst ohne ihren Mantel bemerkte Johanna es nicht mehr.

 
Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dich gespeist, oder durstig und haben dich getränkt? Wann haben wir dich als Fremdling gesehen und haben dich beherbergt, oder nackt und haben dich bekleidet? Wann haben wir dich krank gesehen, oder im Gefängnis, und sind zu dir gekommen? Und der König wird ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch, insofern ihr es getan habt einem dieser meiner geringsten Brüder, habt ihr es mir getan! (Matthäus 25:37-40)

Nach oben